Wenn sich Menschen gegen die Herrschaft auflehnen, bin ich grundsätzlich solidarisch. Meine Solidarität wird in dem Moment aber zu einer kritischen, wenn ihr Appell der nach einer besseren Herrschaft ist und zusätzlich noch mit Ankündigungen wie dieser garniert wird: »12:35h #Frankfurt Paulsplatz: Pfiffe gegen die unverständlichen Polizeidurchsagen. Konstantin Wecker singt gleich durchs Megaphon. #Blockupy«. Das geht nun, mit Verlaub, wirklich zu weit. Weil aber auch kritisch-solidarisches Verhalten das solidarisch noch in sich trägt, ignoriere ich das Weckersche Treiben und versuche mich stattdessen in Diskursanalyse. Im Internet. Bei Twitter! Das verspricht doch witzig zu werden. Humor für Leute mit Humor. Aber ernsthaft. Im Folgenden: 3 Blöcke. 1. Block: Die Versammlungsfreiheit. 2. Block: Polizei, Gewalt und Friedlichkeit. 3. Block: Versammelte Kuriositäten in 140 Zeichen.
1. Die Versammlungsfreiheit – Fluch und Segen eines guten Idealismus.
Die Vergleiche, die man ob des Verhaltens von Legislative, Judikative, Exekutive und Pressekative anstimmte, waren vielfältig, meistens krude und selten auf den Punkt. Damit meine ich auf irgendeinen. Spätestens nach 2 Stunden Tweets lesen, waren meine Erwartungen geschrumpft. Armin H. aus F. witterte den Geruch von »Schönwettergrundrecht«, Rainer wusste zu vergleichen: »#Blockupy Veranstaltungen werden verboten! #NAZIS dürfen regelmäßig in deutschen Städten aufmarschieren!« Marie Laveau sah das ähnlich. Andreas Marktzyniker hingegen erklärte die Stadtregierung Frankfurts kurzerhand zur »schwarz-grünen Junta« und fragte, wann denn wohl das Kriegsrecht verhängt werden würde. S. Fischer fühlte seine Menschenrechte direkt »mit Füßen getreten«. Hui ui ui. Da in Frankfurt scheint ja ganz schön was los zu sein. Ist es aber gar nicht.Verschiedene linke Gruppe haben zu Aktionstagen aufgerufen, im gemeinsamen Aufruf heißt es, dass man »am 18. Mai den Geschäftsbetrieb der Banken in Frankfurt blockieren« werde, um wütend zu sein. Am 17. Mai wolle man zentrale Plätze besetzen (der 17. Mai begann dann mit der Räumung des Empörten-Camps durch die Polizei) und am 19. Mai eine breite, lustige, bunte und was man halt sonst noch so auf Demos haben will Demo veranstalten.
Verschiedene Gerichte haben dann eigentlich alles verboten – bis auf die Demo am Samstag. Warum? Nimmt man die Begründungen der Occupy-Twitterer_innen liegt es auf der Hand. »Legitimer Protest« solle unterdrückt werden, während der Staat ja offensichtlich nichts gegen Nazis unternehme. »Grundrechte« würden ausgehöhlt. Jetzt heißt es im Art. 20 GG zwar, dass »alle Staatsgewalt vom Volke« ausgeht, aber im Satz danach, der von denen, die vor einigen Momenten mit dem Buch in der Hand rumwedeln, anscheinend nicht gelesen wurde, »sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen […]« ausgeübt. Artikel 18 GG schreibt fürderhin fest, dass wer die Grundrechte »zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht« diese Grundrechte verwirke. Jetzt wollen die Empörten in Frankfurt natürlich keinesfalls die Grundordnung antasten, nein, nein. Ihr Protest richtet sich gegen eine schlechte Repräsentation in der Politik und »Verschwendung« oder »Gier« im Finanzsektor. Sie wollen dementsprechend »echte Demokratie« und »gezügelte Finanzmärkte«. Das weiß auch die Rechtsprechung (und wenn auch erst die höchstrichterliche im Nachhinein, wenn es halt alles schon vorbei ist). Wenn die Protestierenden sich aber auf die Grundrechte berufen, machen sie sich einen Idealismus von diesen zu Eigen. Die sind nämlich gar nicht festgeschrieben worden, um die Wohlfühloase jener zu bilden, die vom kapitalistischen Betrieb enttäuscht wurden, sondern im Gegenteil zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Wirtschaft als Geschäftsgrundlage der Demokratie.
Und das heißt jetzt konkret? Das heißt konkret, dass ein Protest, der für einen ganzen Tag einen der zentralen Orte des marktwirtschaftlichen Treibens stilllegen möchte, außerhalb des demokratischen Normalvollzugs verortet und als solcher eben nicht geduldet wird. Die Demo am Samstag ist erlaubt, so wie Nazi-Demos durch irgendwelche Provinzkäffer erlaubt werden. An diesem Vergleich zeigt sich nicht, wie oben vermutet, die Aushöhlung der Grundrechte, sondern die abstrakte Gleichheit jener. Die Einzelinteressen, und seien es die der Mehrheit, zählen nicht, im Gegenteil ist die Staatsgewalt angetreten, das Gesamtinteresse gegen die Einzelinteressen durchzusetzen. Der Wille des Volkes, das Handeln des Volkes, meint nicht das Handeln der Individuen, sondern das Handeln einer Abstraktion (vgl. dazu Der bürgerliche Staat, §2 Souveränität – Volk – Grundrechte – Repräsentation), wie Gesellschaft nicht aus den einzelnen Menschen besteht, »sondern die Summe der Beziehungen, Verhältnisse, worin diese Individuen zueinander stehen« (Marx) ausdrückt. Das Problem ist also nicht, dass die Grundrechte nicht gelten und »legitimer Protest« unterdrückt wird, dass Problem ist, dass die Grundrechte einer Gesellschaft gelten, die fundamentale Kritik (und sei sie noch so zahnlos) an ihr als Grundrecht ausgeschlossen hat. In anderen Worten: Die Protestierenden wollen gegen ein vom Staat geschütztes Wirtschaftssystem angehen und wundern sich dann, wenn der Staat es schützt. Das Berufen auf die Versammlungsfreiheit verbleibt so in der Beschränkung der Demokratie gefangen. Das Aufbringen von Bussen (z.B. aus Berlin), die auf den Weg zu diesen Versammlungen sind, die momentan schlicht und ergreifend verboten sind, ist nichts weniger und nichts mehr als das Durchsetzen der Rechtslage. Nach dieser ist es nämlich verboten, zu verbotenen Veranstaltungen anzureisen.
2. Polizei, Gewalt und Friedlichkeit.
Zu den größeren Aufregern des gestrigen Tages gehörte es, man mag es Farce nennen, dass tatsächlich ein Bulle eingesetzt wurde, der im Zuge der S21-Proteste mal Demonstrant_innen geschlagen hat. Für die Kommentator_innen des öffentlich-basisdemokratischen Kurznachrichtenfunkes Grund genug für einige Vermutungen. Für die einen ist er Nazi, die anderen rufen ihn dazu auf, »sich gleich mal von #Blockupy zu verpissen« ein anderer (ich habe den Tweet leider ausgedruckt und dann verlegt) scheint es offensichtlich, dass der unliebsame Ordnungshüter geschickt wurde, um die Protestierenden zu provozieren. Nicht, dass die Anwesenheit von ein paar hundert Bullen Grund genug wäre, sich provoziert zu fühlen. Dieser eine spezielle ist das. Wenn man das auf alle bundesdeutschen Hundertschaften und Streifenbullen anwenden würde, die im Dienst schon mal jemanden geschlagen haben, hätte vermutlich jeder Polizeieinsatz den alleinigen Grund die Betroffenen durch Anwesenheit bestimmter Einzelfälle zu provozieren. Nene. Nichtsdestoweniger hallen die Aufrufe durch die Gänge, dass man sich auf keinen Fall provozieren lassen soll, dass die Friedlichkeit die stärkste Waffe des Protestes sei usw. Stimmt schon, die Staatsgewalt, gewandt gegen das Volk, das gibt immer feine Bilder in den bundesdeutschen (vielleicht gar weltweiten!) Medien ab. Danach wird dann zwei Tage ein wenig Kritik geübt. Nicht an der Staatsgewalt an sich, sondern an den Ausschweifungen jener. Vielleicht gibt es noch eine Runde bei Jauch, in der der Bundesinnenminister »hart durchgreifen« sagt (was anderes kann er nämlich gar nicht sagen, Berufskrankheit), Geißler den Schlichter spielt (Knüppel: ja, aber mit Zuckerwatte), Schäuble sagt »Es ist ja nicht alles gut, deswegen bin ich mal hierher gekommen« und im Publikum Leute mit hässlichen T-Shirts sitzen, die dann auch mal befragt werden, um der Basisdemokratie Genüge zu tun.
So weit wird es aber nicht kommen. Wenn es nach dem Willen der Protestierenden geht. Zwar bringt sie das in ein Dilemma, das irgendwo in den tausenden Kommentaren auch mal erkannt wurde: Ohne Gewalt wird gar nicht berichtet, mit Gewalt nur über die Gewalt. Da alleinig der Maßstab »Es wurde berichtet« reicht (für Satisfaktion oder Shitstorm), kann ein klein wenig Gewalt den Protestierenden nur recht sein. Ist es aber nicht. Man muss sich ja alleine schon »von Chaoten abgrenzen« – während Pressemeldungen veröffentlicht werden, dass der Protest sich keinesfalls spalten lasse. Von Zeit zu zeit heißt es, dass die staatliche Gewalt zu akzeptieren sei und es halt keine Gewalt neben ihr geben dürfe (Grundgebote, Artikel 2). Zwar ist man sich nicht zu blöd (s. Absatz 3) sich auf eine Stufe mit den Protestierenden weltweit zu stellen, aber friedlich. Weiteres zur Gewalt will ich an dieser Stelle nicht anmerken und verweise stattdessen auf einen alten Artikel zur Gewalt, einen Text zur Militanzdebatte und eine kommende Rezension des Buches »Von der Diktatur zur Demokratie« von Gene Sharp in diesem Blog.
3. Kuriositätenkabinett.
Deadline für dieses Kabinett ist 15.40h gewesen, man muss ja irgendwie zum Ende kommen, die Auswahl ist vollkommen subjektiv und sicherlich nicht komplett.
»Ok, wenn die Banklobbyisten #Blockupy Demo verbieten, Plan B: Konten leer räumen. Und zu Sparkassen wechseln.« (Frank)
»#OCCUPY #REICHSTAG RT @broeselbub: Totalitäre Staaten verbieten Demos, weil sonst was über üble Machenschaften nach außen dringt. #Blockupy« (Schwarz Weiß)
»›Dieser Zug hält nicht an der #Taunusanlage!‹ Müsste ich da jetzt hin wäre ich ziemlich sauer! #Blockupy #Frankfurt« (Oliver Schellpepper)
»Spontan-Demos mit 3 Leuten können nicht verboten werden#Blockupy #Frankfurt #Occupy http://t.co/BmsxFS7U« (Zimbi)
»#blockupy Diese Protestler müssten jede Uniform die sie mit Farbe versaut haben ausnahmslos bezahlen. Kein Pardon für Störenfriede…« (Strolch von nebenan)
»Uni #Frankfurt wird wegen #Blockupy geschlossen. Asta ist über autoritäre Präsidiumspolitik schockiert http://t.co/6SBDlylr« (ak. analyse & kritik)
»Das bespritzen von Polizisten ist NICHT friedlich! #Occupy ist NICHT friedlich! Blockadecamps sind NICHT friedlich! #frankfurt #Blockupy« (Luca Leittersdorf)
»RT @Dahonk: Was gerade in Frankfurt passiert, erinnert mich an die letzten Tage der DDR 1989. Danach brach das System zusammen.#blockupy« (Thom Twitting)
»#zumglueck89nichtaufdiestrasse ›16 Menschen wurden vorläufig festgenommen‹ (Frankfurt) & ›18 Menschen wurden festgenommen‹ (Baku) #blockupy« (Else)
»Es ist leichter in Teheran gegen die Mullahs zu demonstrieren, als in Frankfurt gegen die Globalisierung #blockupy« (H. Martin)
»Wann verhängt die schwarz-grüne #Junta wg. #Blockupy das Kriegsrecht über #Frankfurt? Was kommt noch? #Ausgangssperren?#cdu #grüne #fail« (Andreas Marktzyniker)
»Wenn meine Schule uns schon nach Hause schickt um unsere Sicherheit zu gewähren, heißt das was. #Blockupy« (Jessy.)